DAS HERZ AUF DER ZUNGE

Zum Andenken an Maria Jonas

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26. Januar 2025

von Thomas Höft

Es ist genau 30 Jahre her, dass ich Maria Jonas zum ersten Mal persönlich kennenlernte. Und ich kann mich noch genau daran erinnern. Ich war gerade mit meinem Freund Joachim Diessner auf einer Reise durch Norditalien in Mantua, als wir entdeckten, dass John Eliot Gardiner im Theater in Parma eine szenische Zauberflöte einstudierte. Das durften wir uns nicht entgehen lassen, schon gar nicht, weil im Ensemble Constanze Backes als Papagena und Maria Jonas als Dritte Dame angekündigt waren. Beide waren in der Kölner Alte-Musik-Szene bekannt und hatten unter anderem gemeinsam in der Rheinischen Kantorei mit Hermann Max gesungen. Jetzt aber war das etwas völlig anderes: Mozarts große Oper in einer hinreißenden Inszenierung. Das beste dabei: Maria und Constanze waren - außer den Akrobaten, die gemeinsam das Bühnenbild verkörperten - mit Abstand die Sensation des Abends: Sing-Schauspielerinnen der Sonderklasse. Das habe ich ihnen auch gleich gesagt, als wir sie nach der Vorstellung am Bühnenausgang abfingen. Und Maria schäumte sofort über vor Freude und erzählte uns in unverkennbarem kölschen Tonfall alle möglichen Anekdoten über die Proben und was bisher geschah. Wir hatten sofort einen Draht zueinander, was aber nicht weiter schwer war, denn Maria trug ihr Herz jedem gegenüber auf der Zunge. Ich beschloss sofort, irgendwann mit dieser wunderbaren Frau zu arbeiten.

Ich bin zu dieser Zeit gerade erst nach Köln gezogen und habe die große, erste Hochphase der Alten Musik dort nicht live miterlebt. Maria Jonas aber war damals schon mittendrin, wie sie mir später erzählte. Denn anders als so viele führende Personen der damaligen Szene, die im Rahmen ihres Studiums oder durch den WDR nach Köln kamen, war Maria Jonas echte Rheinländerin. Sie lebte in Brühl, und der rheinische Tonfall war ihre Muttersprache. Allerdings waren Gesang und Alte Musik nicht ihre erste Wahl im musikalischen Leben. Sie liebte Jazz - Maria konnte ganz stolz und begeistert davon erzählen, dass sie 1975 persönlich mehr oder weniger durch Zufall beim berühmten Köln-Konzert von Keith Jarrett dabei war - und sie studierte Oboe. Später ging sie nach Venezuela, wo sie in Guayana eine Musikschule im von José Antonio Abreu gegründeten „El Sistema“ leitete. 

Erst nach ihrer Rückkehr beschloss Maria Jonas, Sängerin zu werden. Ausschlaggebend war dafür der große Eindruck, den Montserrat Figueras, die stilprägende Sopranistin und Frau von Jordi Savall, auf sie machte. Und in Jessica Cash fand Maria eine Lehrerin, mit der sie bis zu deren Tod 2023 zusammen arbeitete. Jessica Cash, Lehrerin von so fantastischen Sängerinnen wie Emma Kirkby, war eine echte Ausnahmepädagogin, die Maria half, ihr stimmliches Potential voll auszuschöpfen und gleichzeitig unverformt sie selbst zu bleiben. Und das war sicher eine der ganz großen Stärken der Künstlerin Maria Jonas: Sie war sie selbst und sie traute sich, genau das auch als Sängerin wirklich zu sein. 

Das war allerdings nicht immer einfach für sie, und es führte zu ganz wichtigen künstlerischen Entscheidungen. Ob in der Rheinischen Kantorei oder als Solistin mit Barockrepertoire: Maria Jonas erkannte früh die Widersprüche, die sich schon damals in der Alte-Musik-Welt auftaten. Sie war viel zu frei, zu selbstbewusst und auch zu schräg, um sich dem Diktat einer Aufführungspraxis zu unterwerfen, die sie als fehlgeleitet empfand. Wir haben später, als Maria im Vorstand der Kölner Gesellschaft für Alte Musik war und ich das Kölner Zentrum für Alte Musik leitete, über diese fundamentale „Lebenslüge“ der Aufführungspraxis gesprochen, die glaubt, aus dem Notentext und den aufführungspraktischen Quellen allein ableiten zu können, wie Musik zu spielen sei, ohne wirklich auf die Kontexte zu achten und auf die Individualität der Ausführenden. Maria bestand darauf, ihre eigene Interpretation von Stücken zu singen und Alte Musik in die Gegenwart zu transportieren, schon allein deshalb, weil sie sich als total gegenwärtig empfand. Das war ihre Idee von Authentizität, jede andere Vorstellung empfand sie als Kopfgeburt: „Wir machen immer Musik von heute für heute. Wir werden nie wissen, wie Musik im Barock oder in der Renaissance geklungen hat, das ist aber auch ganz egal. Weil wir uns die Musik immer wieder neu aneignen müssen.“ Das war ihre Haltung, so lange ich sie kannte.

Es war also klar, dass Maria Jonas einen Ausweg aus der Barockszene suchte. Sie fand ihn in Theaterarbeit, unter anderem mit Regiemagier Robert Wilson, und in der Musik des Mittelalters. Und dort zuerst im Ensemble Sequentia, in dem sie große Erfolge rund um die Welt feierte. In Barbara Thornton, Gründerin des Ensembles, hatte Maria Jonas - wie so viele andere junge Sänger:innen der Szene - eine Mentorin. So erzählte es mir Maria jedenfalls später. Und als Barbara Thornton 1998 starb, blieb Maria der Erforschung und Aufführung mittelalterlicher Musik nicht nur verhaftet, sondern sie machte sie zu ihrem ganz persönlichen, künstlerischen Lebensmittelpunkt. Mit dem Flötisten Norbert Rodenkirchen, der ebenfalls zwischen den Welten der Alten und der aktuellen Musik vagabundiert - gründete sie das Ensemble Diphona, und schließlich rief sie im Jahr 2004 die Frauenschola Ars Choralis Coeln ins Leben. Dieses Ensemble wurde zum Herzensprojekt und zum Dreh- und Angelpunkt ihrer neuen Karriere.

Vielleicht sollte ich für alle, die Maria Jonas nicht persönlich kannten, an dieser Stelle erwähnen, dass sie eine im Wortsinn starke Frau war. Sie war sehr groß, überragte die meisten Männer, mit denen sie zu tun hatte - mich eingeschlossen - um mindestens Kopfeslänge. Und sie war, nachdem sie seit Jahrzehnten unter Diabetes litt, durchaus eine gewichtige Person. Beides betonte sie persönlich, weil es sie auszeichnete und weil sie offensiv damit umging, so wie sie mit allem offensiv umging. Sie kleidete sich auffällig bis schrill. Wenige Tage vor ihrem Tod kauften wir zusammen noch im herrlich exzentrischen Kölner Modeladen Heimat einen neuen Issey-Miyake-Mantel. Maria tönte ihre Haare in abwechselnden Farben, bis sie schließlich zu einem raspelkurzen Grau überging, und sie war laut. Sie liebte es, sich mitzuteilen und zu reden, man wusste, dass man bei einem Telefonat mit ihr unter einer Stunde kaum davonkam. Und auch darüber konnte sie selbst spotten und lachen. Sie war eine echte Feministin. Sie hatte ein feines sensorisches Gespür für männliche Machtstrategien, und sie konnte männliches Überlegenheitsgehabe nicht ausstehen. In ihrem Ensemble spielten nur Frauen wie Stefanie Brijoux, Svlvia Dörnemann, Uta Kirsten, Petra Koerdt, Lucia Mense, Pamela Petsch, Cora Schmeiser, Amanda Simmons, und Maria war die Chefin im Ring.

Mit Ars Choralis Coeln erforschte sie kontinuierlich die Frauenmusik des Mittelalters, sie realisierte gefeierte Aufnahmen und szenische Produktionen der Musik Hildegards von Bingen. Ich selbst durfte als Regisseur mit ihr und Ars Choralis Coeln Hildegards Ordo Virtutum im Kölner Dom inszenieren, das war sicher ein herausragendes Ereignis. Aber Maria Jonas kümmerte sich auch um die Musik aus den rheinischen Klöstern. Dabei kam ihr ihre Kenntnis der rheinischen Sprache und deren Vorform, des Ripuarischen, sehr zu Gute. In der Rose von Jhericho aus dem Liederbuch der Anna von Köln oder Les Maries du Rhîn war Maria ganz und gar sie selbst. Da sang jemand mit einem ganz und gar natürlichen Verständnis von den eigenen Wurzeln, in völligem Einklang mit den Kolleg:innen von Ars Choralis Coeln.

Aber Maria Jonas war auch weiterhin Solistin. Sie bezeichnete sich als Trobairiz, als Geschichten erzählende Sängerin in der Tradition der weiblichen Minnesängerinnen. Mit der Fidelspielerin Susanne Ansorg gründete sie Ala Aurea und gestaltete unter anderem eine ganz persönliche Spurensuche nach der Figur Cundrie la Surziere, der Zauberin aus dem Parzival des Wolfram von Eschenbach. Und schließlich tat sich über ihre Freundschaft mit dem Djoze-Virtuosen Bassem Hawar aus Bagdad noch das Tor zum weiten Feld der Weltmusik auf. Da sowohl mittelalterliche Musik als auch arabische Musik in modalen Tonleitern organisiert ist, war eine Verbindung ganz natürlich. Im Ensemble Sanstierce erforschten beide die daraus entstehenden Möglichkeiten. Maria Jonas’ Neugier war unerschöpflich, ob sie in Raga Virga indische Dhrupad-Musik mit Hildegard verband oder gemeinsam mit Chasan Jalda Rebling die frühen Verbindungen aus sephardischer, mozarabischer und muslimischer Musik zum Klingen brachte - immer standen am Ende echte Offenbarungen. Oftmals realisiert in der von ihr gegründeten und geleiteten Klangwerkstatt im von Peter Zumthor als Klangskulptur gestalteten Kölner Museum Kolumba.

Maria Jonas hatte eine große, verdiente Karriere in der Welt der Musik. Sie stand mit Legenden wie Hanna Schygulla oder Emma Kirkby auf der Bühne, sang und unterrichtete quer durch Europa, war regelmäßiger Gast von internationalen Festivals wie PSALM und Styriarte Graz, Montalbane, Festival de Semana Sancta Cuenca, Festival Oude Muziek Utrecht oder dem Romanischen Sommer Köln. Sie war Mitgründerin der Initiative Freie Musik, der Kölner Gesellschaft für Alte Musik und von Originalklang e.V.. War bei letzteren lange im Vorstand tätig, war Künstlerische Leiterin der Konzertreihe KlosterKlaenge NRW und wirklich unermüdlich in ihrem Tatendrang. Sie war streitbar und umstritten. Ich erinnere mich nur zu gut an einige, vor allem männliche, Blicke mit verdrehten Augen, wenn ihr Name fiel. Ich habe das aber auch, wie sie selbst, immer als wohl erarbeitete Auszeichnung verstanden. Vor allem aber erinnere ich mich an einen besonderen Tag im Jahr 2021. Für 321 - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland haben wir damals mit Ars Choralis Coeln, meinem Ensemble Ārt House 17, Jalda Rebling, Bassem Hawar und Adrian Schvarzstein das mittelalterliche Ludus Danielis inszeniert. Maria Jonas spielte die Königin von Babylon, und Dietrich Henschel war Belsazar. Nach der Premiere sagte der weltweit gefeierte Bariton Henschel, der unter anderem mit einem persönlichen Grammy ausgezeichnet wurde und mit allen großen Sänger:innen unserer Zeit auf der Bühne steht, er habe kaum jemals in seiner Karriere mit einer so herausragenden Sängerin und Darstellerin wie Maria Jonas zusammenarbeiten dürfen. Sie sei auf ihrem ganz eigenen Planeten unterwegs, weit überlegen dem meisten, was man sonst zu hören gewohnt ist. Dem kann man nur zustimmen. Wir, die wir mit ihr haben zusammenarbeiten dürfen, haben wirklich großes Glück gehabt.

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