Zukunft der Alten Musik beim REMA Summit
What's Next?
Wegweisender Austausch beim Internationalen REMA Summit in Brüssel und Brügge Ende November bis Anfang Dezember 2023 zum Thema „What´s Next: The Future Of Early Music In Questions”
Von Norbert Rodenkirchen, Januar 2024
Erstes großes Treffen nach der Pandemie
Es beginnt schon beim Titel mit einem kleinen Wortspiel: Steht eventuell die Zukunft der Alten Musik in Frage oder gibt es vielmehr eine Vielzahl neuer Fragen in unserer herausfordernden Zeit? Auch wenn wir hier von der Alte Musik-Teilszene des IFM schon vor gut einem Jahr mit einem Text von Nicola Oberlinger die damalige Regionalkonferenz 2022 der REMA präsentierten, zu der das zamus nach Köln Ehrenfeld eingeladen hatte, so halten wir es für wichtig, auch vom kürzlich stattgefundenen International REMA Summit im Winter 2023 zu berichten. Es sind nämlich bahnbrechende Ergebnisse vorzuweisen und mitzuteilen, die auch von allgemeinem Interesse sein dürften, z.B. im IFM. REMA heißt übrigens RÉSEAU EUROPÉEN DE MUSIQUE ANCIENNE, übersetzt: Europäisches Netzwerk der Alten Musik.
Die in diversen Panels, AGs, Vorträgen bis hin zu Rollenspielen von den mehr als 200 Mitgliedern aus zahlreichen Ländern diskutierten Aspekte sind vielfältig und hochinteressant für alle im kulturellen Sektor, die an internationaler Vernetzung und Kooperation interessiert sind, weit über den Bereich der Alten Musik hinaus. Das zamus Köln war mit Geschäftsführerin Mélanie Froehly, welche auch zum Kreis der gewählten REMA Board Of Directors gehört, und durch den KGAM e.V. Vorstand vertreten. Das zamus zählt als einflussreiches wichtiges Mitglied in diesem europaweiten Netzwerk.
Den viertägigen Summit hier in diesem Rahmen komplett zu besprechen, wäre unmöglich. Stattdessen soll eine stichpunktartige Liste der wichtigsten Themenfelder mit einigen zusammenfassenden Kommentaren einen Überblick über die faszinierende Zusammenkunft der Teilnehmer:innen umreißen, welche sowohl von der Veranstalterseite her kamen, als auch von Berufsverbänden, übergeordneten Kulturorganisationen, Stiftungen, Musikhochschulen, Plattenlabels, Agenturen, Konzertbüros, Festivals und seit neuestem auch von ausgewählten musikalischen Ensembles selber.
Das spezialisierte Metier der alten Musik und erweiterte Blickwinkel
Es ging einerseits um Fachfragen innerhalb der weltweiten Bewegung für Historically Informed Performance Practice Of Early Music (HIP), übersetzt: historisch informierte Aufführungspraxis Alter Musik.
Die Bewertung musikalischer Programme war eines der Fachthemen. Jenseits der Vermarktung, Durchführung und Planung von Konzerten ist eine wichtige Fragestellung die Art des Angebotes an das Publikum: ob eher seltenes oder aber bekanntes Repertoire angeboten wird; ob dieses eher konventionell oder aber in kontroversen Herangehensweisen umgesetzt wird und ob eher übliche oder aber innovativ erweiterte Konzertformate angestrebt werden, wofür zum Beispiel ja das Kölner zamus maßgeblich steht. In der Diskussion wurde natürlich deutlich, dass all dies nur schwer zu verallgemeinern ist und oft von Charisma und Mission der künstlerisch Agierenden sowie von der Gesamtschau einer Programmplanung, zum Beispiel einer Konzertreihe oder eines Festivals, abhängt. Aber es wurde auch klar, dass es wichtig ist, sich in der Zeit nach der Pandemie klar zu verorten.
Ferner wurden Ausbildungsaspekte intensiv besprochen, da hier der Bereich der Generationenfolge an den Musikhochschulen und in den freien Ensembles eine große Rolle spielt. Es ging auch um die europaweiten Förderprogramme und die Stipendienmodelle des befreundeten Partnerverbands Early Music America, der auch anwesend war.
Ein genauer Blick führt zu einem weitverzweigten und differenzierten Generationenspektrum, in dem die auf HIP spezialisierten professionellen Musiker:innen möglichst jeden Alters und jeder Herkunft ihre jeweilige Stimme finden sollen. Die vielfältige Darstellung der international wirksamen Szene geht weit über die klischeehafte und simple Gegenüberstellung von Nachwuchs- und etablierten Ensembles hinaus.
Kulturpolitische Reflexionen und Initiativen in einer Zeit des Wandels
Andererseits ging es auch um brennende Fragen in gesellschaftlichen Diskursen unserer Zeit. Stichpunkte waren:
Die Auswirkungen der EU-Politik auf die Alte Musik: Wie gibt ein internationales Netzwerk die Informationen an den Sektor weiter und gestaltet dessen Aktivitäten? Wie informieren Netzwerke die politischen Entscheidungsträger und tragen zu deren Maßnahmen bei? Diese Diskussion beleuchtete das Zusammenspiel zwischen internationalen Netzwerken und dem Sektor der Alten Musik und zeigte auf, wie wichtig eine effektive Zusammenarbeit ist, um sinnvolle Veränderungen zu bewirken. Es ist ja leicht nachzuvollziehen, wie essentiell für alle Kulturschaffenden internationaler Austausch auf dieser Ebene ist, wenn zum Beispiel die Frage der Vergleichbarkeit nationaler Kulturpolitik gestellt wird, bei Förderprogrammen oder bei Versicherungsfragen in Kooperationen in länderübergreifenden Kooperationen. Es ist ein komplexes Gewebe, über das ein analytischer Gesamtblick sich lohnt mit der Intention, europaweit trotz der Unterschiede zu verbindlichen Standardlösungen und somit zu besserer Planbarkeit zu kommen.
Nachhaltigkeit als Herausforderung
Ein großes Thema war Nachhaltigkeit, vor allem die Frage nach Energieeinsparung sowohl in den lokalen Arbeitsvorgängen der jeweiligen Kulturinitiativen vor Ort, als auch im Kontext von notwendigen Konzertreisen, Workshops und anderen Tätigkeiten, die mit Ortswechseln verbunden sind. Flugvermeidung oder Reduzierung von CO2-intensiven Reisen und Bündelung von internationalen Tätigkeiten mit neuartigen Kooperationsmodellen, Residenzen und Festival-Absprachen fanden größtmöglichen Konsens. Das Dilemma, dass internationaler Austausch und die reale Begegnung von künstlerisch interessierten Menschen durch Reisen neben seinen klimaschädlichen Aspekten gleichzeitig überaus schützenswerte Güter sind, wurde bei der REMA- Konferenz – und das ist wegweisend – nicht als Hindernis, sondern als äußerst wichtige kreative Herausforderung, als „Challenge“ angesehen und formuliert. Fazit: Das Eine (Nachhaltigkeit) verwirklichen, ohne das Andere (Kulturaustausch) aufzugeben!
Diversität und Vielfalt, auf dem Weg zu einer neuen Sensibilität
Ein weiteres wichtiges Thema war Diversität, wobei es im speziellen Feld der Early Music stark um die Reflexion kultureller Identitäten und vor allem um Gerechtigkeitsfragen in den heutigen Arbeitsverhältnissen ging. Wo gibt es fast unbemerkte Privilegien, die Andere ausschließen? In diesen Kontext fällt auch die postkoloniale Bewusstseinsarbeit. In jeder kulturellen Branche ist sie wichtig! Sie bedeutet natürlich nicht ein Blockieren von Inspirationen und Ausdrucksmöglichkeiten im Hinblick auf den, die oder das vermeintlich Andere, zum Beispiel in der sogenannten Globalen Musik, oder auch Weltmusik genannt. Vielmehr geht es um das Schärfen der Wahrnehmung für oft nur verborgen erkennbare Ungleichheiten sowohl bei heutigen Musiker:innen als auch in Bezug auf die Entstehung und die gesellschaftlichen Funktionen historischer Repertoires, die auch nicht selten Macht repräsentierende musikalische Ausdrucksformen waren. Diese oft komplexen Zusammenhänge gilt es differenziert zu thematisieren und dafür neue (Gesprächs-)Formate zu finden. Viel ist schon durch geeigneten Kontext und Kommentar zu erreichen. Maßgebliche Impulse kamen hierfür aus den USA mit einem Vortrag über das federführende Programm I.D.E.A. Task Force von Early Music America. Die Initialen stehen für Inklusion, Diversität, Gleichberechtigung (Equity) und Zugang (Access) und dahinter steht ein umfänglich ausgearbeitetes aktives Programm, welches alle Early Music Bereiche in den beiden „Americas“ betrifft. Ein inspirierendes Vorbild für Viele auch in Europa!
Gleichberechtigung auf dem Prüfstand
Die Gleichberechtigung der Geschlechter wurde ebenso intensiv diskutiert. Hierbei fiel gerade in der Early Music- Szene auf, dass im Bereich der ungesicherten Freiberuflichkeit in den Ensembles durch den hohen Frauenanteil der Anschein einer gelungenen Gleichberechtigung erweckt wird, der aber sofort wieder verschwindet, sobald der Blick auf die gut bezahlten Leitungspositionen von Festivals oder Intendanzen von Konzerthäusern gelenkt wird. Da ist also noch viel zu tun und es gibt keinen Grund, zufrieden zu sein.
Und es gab auch klingende Musik
Der Summit fand in einer gut durchgeführten Organisationsform nacheinander in zwei belgischen Städten statt, erst in Brüssel, angedockt ans BOZAR, dann in Brügge im Concertgebouw. Zu erwähnen ist nicht zuletzt das hervorragende Rahmenprogramm. Unter anderem trat beim ersten Konzert des Summits im Brüsseler BOZAR die französische junge Truppe I Gemelli mit einer atemberaubend schön gesungenen und gespielten Version von Monteverdis Il Ritorno d’Ulisse in patria auf. Und im Concertgebouw Brügge gab es das Abschlusskonzert mit dem belgischen Originalklangensemble B:Rock und der bezaubernden Diva Jeanine de Bique (dem Kölner Publikum bekannt durch ihre fulminate Zusammenarbeit und CD mit Concerto Köln) in einem fantasiereichen Programm aus Highlights aus barocken Opern von Lully, Purcell und Händel. Ebenso gab es eine unterhaltsame und schmissig gekonnte Konzerteinlage mit Werken der ukrainischen Barockkomponisten Tuptalo, Dyletsky und Berezovskyi im historischen Brügger Bürgerhaus „Halve Maan“ durch Mitglieder des Partes Ensembles aus Kiew, welche eigens mit dem Zug angereist waren und somit die europäische Partnerschaft auch lange vor einer offiziellen EU Mitgliedschaft der Ukraine zur Realität unter befreundeten Künstler:innen werden ließen.
Ausblick ins Neue
Die gesellschaftliche Relevanz der Vernetzung freier Kulturschaffender steht in unserer Zeit, die starken Veränderungen unterworfen ist, welche die freie kulturelle Entfaltung teilweise erschweren, außer Frage. Auch die Bewegung für Alte Musik, die ja größtenteils freiberuflich agiert, hat diese Lage erkannt. Das sehr gut besuchte REMA International Summit im Winter 2023 war mit seinen vielen kreativen Fragestellungen ein exzellenter und optimal vorbereiteter Wegweiser. Er führte zu inspirierendem Austausch mit nicht wenigen nützlichen Antworten und hoffentlich weit wirkenden Auswirkungen über den Early Music Sektor hinaus!
Und nun: Wie geht es weiter? What´s next?