von Nicola Oberlinger

Mehr Demokratie wagen in der Musik

Das Europa-Netzwerk der Alten Musik REMA zu Gast beim zamus in Köln

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18. November 2022
Autor:Innnen: Nicola Oberlinger
Künstler:Innen: Andreas Gilger Cembali

Krisenzeiten sind Umbruchzeiten. Dass die Alte Musik-Branche trotz unterstellter Marktgängigkeit von Bach, Vivaldi und Co. in Zeiten von Covid, Krieg in Europa und schmalen Portemonnaies ganz genauso wie alle anderen im Kulturbetrieb mit großen Herausforderungen umzugehen hat, prägt die Themen beim ersten Kölner Regionalmeeting des europaweiten Alte Musik-Netzwerks Réseau Européen de Musique Ancienne (REMA) am 26. Oktober 2022, auf Einladung von zamus, dem Zentrum für alte Musik Köln, FREO, der Organisation freier Ensembles und der REMA selber.

Wer ist die REMA?
Zunächst einmal ist bemerkenswert, dass die stets international agierende REMA die nationale Ebene für sich entdeckt. Gegründet im Jahr 2000 im französischen Ambronay als Zusammenschluss europäischer Veranstalter im Bereich der Alten Musik zur Wahr(nehm)ung und Förderung des musikalischen Erbes, hat sich das Netzwerk in letzter Zeit schrittweise allen Akteuren der Szene von Ensembles, Ausführenden über Labels, Instrumentenbau und weitere Gewerke geöffnet. 130 Mitglieder zählt man zur Zeit. In Deutschland ist es vielleicht der von der REMA erfundene und organisierte europaweite „Early Music Day“ an Bachs Geburtstag am 21. März, der auch Uneingeweihten ein Begriff sein dürfte. Zu weiteren REMA-Formaten zählen internationale Fachkonferenzen, ein „Early Music Summit“ im Dreijahresturnus, Auszeichnungen und Podcasts – man präsentiert sich als rühriges Organ, das Chancen zur Vernetzung, Professionalisierung und Austausch bietet. Tatsächlich bringt das Netzwerk merklich frischen Wind in die Szene. Nun kommt die Vernetzung auch auf der regionalen Ebene an. Als Ausrichtungsort für ihr erstes „Regional Meeting“ hat sie sich mit dem zamus den Nabel der Alte Musik-Szene in NRW ausgesucht und das gastgebende Kölner Zentrum für Alte Musik zeigt dadurch einmal mehr, dass es sich auch bundesweit zu positionieren und bei der Themenauswahl und professionellen Durchführung zu engagieren weiß. Mit zamus-Leiterin Mélanie Froehly und WDR3 Alte Musik-Redakteur Richard Lorber sind am Standort Köln gleich zwei Direktor*innen des 15-köpfigen REMA-Direktoriums beheimatet.

Regionales Meeting mit internationaler Besetzung
So regional die Plattform, so international geht es zu, als sich am 26. Oktober 2022 rund 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im herbstlichen Ehrenfeld einfinden. Sie spiegeln die Vielfalt der Szene: Künstler*innen sind ebenso anwesend wie Veranstalter*innen, große Konzerthäuser und spezialisierte Reihen, Künstlervertreter*innen ebenso wie Agenturen und Organisationen, in etwa paritätisch national und international besetzt. Die Schwerpunkte des bilingual deutsch-englischen eintägigen Programms: Standardhonorare in der Alten Musik und der große Bereich der Nachhaltigkeit – gemünzt auf Honorar- und Fördersituationen ebenso wie auf künstlerische Präsentationen und Publikumsstrategien.

Work in progress: Standardhonorare in der Alten Musik
Die einleitende Podiumsdiskussion birgt Brisanz und legt mit dem aktuellen Stand der Debatte zu Standardhonoraren in der Musik eine Achillesferse der Kultur offen. Im Podium versammelt: Thomas Baerens, Leiter der Musikabteilung im Kultusministerium NRW, Dr. Hermann-Christoph Müller, Fachreferent im Referat für Musik im Kulturamt der Stadt Köln, Ina Stock, Vorsitzende der Vereinigung Alte Musik als Künstlervertreterin und Christian Heinicke als veranstaltender Musiker mit seinem Ensemble Neue Hofkapelle Osnabrück. So treffen Politik und aktive Musikszene aufeinander. Lena Krause, Geschäftsführerin der Organisation freier Ensembles FREO, moderiert die Runde ebenso schwungvoll wie kenntnisreich.

Matrix – In der Vielheit liegt die Einheit der Musikerhonorare
Wir lernen: Auf NRW Landesebene sollen Richtlinien, derzeit als Matrix bei der Kultusministerkonferenz in Abstimmung, 2023 eingeführt werden. Landesförderungen werden dann verbindlich daran gebunden, derzeit sind sie bereits im Sinne einer Selbstverpflichtung, basierend auf dem NRW-Kulturgesetzbuch, an Mindesthonorare geknüpft. Auch kommunale Förderungen beachten heute, dass Untergrenzen nicht unterschritten werden. Die Künstlervertreterin entdeckt hier noch Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Wer wird denn Trompeten mit Oboen vergleichen?
Ein Ziel der Matrix ist, basierend auf einem Durchschnittsarbeitsaufwand und berechnet nach TVÖD, eine Einheitlichkeit der Honorare herzustellen. Die Gemengelage des Themas Gerechtigkeit erschließt sich in der Folge in plastischen Beispielen unterschiedlicher Instrumentengruppen wie Oboe und Trompete, übe- und probenintensiven Uraufführungen einerseits und improvisatorischen Auftritten andererseits sowie dem unsichtbaren Zeiteinsatz leitender musikalischer Tätigkeiten. Die Stadt Köln begegnet diesen praktischen Aufwandsunterschieden in neuen Förderinstrumenten mit Arbeits- und Rechercheförderungen.

Durchschnitts-Jahresverdienst freier Musiker*innen von 12.515 EUR
Zum Status Quo von Musikereinkommen der freien Szene wird von Jahreseinkommen von durchschnittlich Euro 12.515 berichtet – erstmals offenbar geworden in der Corona-Zeit, als klar wurde, dass in der Szene keine Rücklagen vorhanden waren. Real liegen Tagessätze derzeit um die Euro 180–190. Eine Anzahl unterschiedlicher Vorschläge aus Verbänden und Künstlervertretungen liegen derzeit auf dem Tisch, Mindestsätze für Tages-, Projekt- oder Konzertsätze werden in einer Bandbreite von Euro 260 (Sachsen) über Euro 360 (Deutsche Orchestervereinigung) bis Euro 500 (Unisono) bzw. Euro 650 (Jazz und Alte Musik) vorgeschlagen.

Subventionierung prekärer Einkommensstrukturen vs. Kulturförderung als Ehrenaufgabe des Staates?
Auch wenn es zwischen diesen Positionen zu einer Einigung kommt, warnt Müller, dass sich durch deutsche Standards allein das Problem sich nicht einhegen lassen wird, und weist darauf hin, dass Einkommen der freien Szene europaweit generiert werden. Professionalisierung hingegen habe sich als wichtiges Werkzeug im Kampf gegen prekäre Einkommensverhältnisse bewährt. Unternehmerisch verfasste Körperschaften mit festen Anstellungsverhältnissen haben laut Müller die Corona-Krise dank Kurzarbeitergeld besser durchstehen können. Das Spannungsfeld der Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Förderungen als steuerfinanzierte Lebensader prekärer Einkommen steht gegen die proklamierte Kulturförderung als Ehrenaufgabe des Staates. Ina Stock betont, dass es primär erst einmal um ein Absichern von Arbeit geht.

Anwachsende Förderhöhe vs. Verringerung geförderter Projekte
Thomas Baerens erklärt, dass bei allen Überlegungen auf Landesebene der Charakter der Freien Musikszene grundsätzlich erhalten bleiben soll, dass aber die Förderhöhe anwachsen muss. Er räumt ein, dass ultimativ mit höheren Fördersätzen eine Einschränkung der Anzahl der geförderten Projekte einhergehen muss. Dies korreliert mit der Feststellung, dass die Kriterien für die Vergabe von Förderungen an die Qualität der Projekte geknüpft sind.
Glückliches NRW, so die einhellige Anerkenntnis – dank Kulturgesetzbuch ist das Bundesland im zersplitterten föderalen Umfeld führend in der Schaffung eines Umfeldes, das Kultur unterstützt –, beispielhaft auch insofern, als hier nicht zwischen Genres unterschieden wird, sondern alle von Pop über Jazz über Alte und Neue Musik gleichstellt.

Basisdemokratie als Zufriedenheitswerkzeug
Auftritt Leonhard Bartussek, der mit seinem jüngsten Projekt „J.S. Bach: Das Kapital“ in seinem Liquid Music Collective über Honorare hat basisdemokratisch abstimmen lassen. Neben einem egalitären Grundeinkommen konnten alle Musiker*innen des Projekts über aufwandsorientierte Zulagen über Online-Abstimmungstools selbst entscheiden. Bartussek legt eine transparente Kalkulation vor, die erstaunlich nah an „klassischen“ Orchesterkalkulationen gelandet ist. Für ihn steht der Erfolg des Mitbestimmungsmodells trotzdem außer Frage. Er berichtet, dass sogar Außenstehende die außergewöhnlich harmonische Zusammenarbeit des Ensembles als Team wahrgenommen haben, und erzählt von Mitverantwortung und höherer Zufriedenheit, weil jede und jeder sich mehr als Akteur fühlen konnte.

SHIFT – Projekt: Nomen est omen.
Man tummelt sich und power-netzwerkt in der kurzen Mittagspause bei Süßkartoffelcurry und Tiramisu. Anschließend leitet Ruth Jacobi vom European Music Council – dem Pendant zum Deutschen Musikrat auf Europaebene, zuständig für alle Musiksparten - die Nachmittagssession mit der Vorstellung des sprechend benannten SHIFT-Projektes ein. Bei SHIFT geht es um eine in vier Arbeitsbereiche gegliederte Mission der europäischen Musikszene, die sich über Cultural Leadership auf Nachhaltigkeit in Umweltthemen, Genderthemen und Machtbeziehungen und Inklusion erstreckt.
Was auf europäischer Ebene als Zielvorgaben mit praktischen Handreichungen und Materialsammlungen vorgedacht und aufbereitet wird, sollen die REMA-Teilnehmer am Nachmittag unter der Themenstellung Nachhaltigkeit für ihre Ebene in Gruppen erarbeiten. Der Workshop ist die Fortsetzung einer REMA-Zusammenkunft in Warschau, wo bereits ausgiebig über ökologische Nachhaltigkeit in der Szene im Spannungsfeld zwischen internationalem Touring und der Internationalität gestritten wurde.

Relevanz – aber wie?
In der Kölner Debattenrunde wird deutlich, was erfolgreiche Nachhaltigkeit für die Szene jenseits des Umweltaspekts eigentlich bedeutet. Ansprüche, Aufgaben und Kriterien gehen zwar weit auseinander, je nachdem, ob sie aus dem Blickwinkel von Veranstaltungshäusern – und reihen, Musikern oder Interessenvertretern vorgetragen werden. Ein kleinster gemeinsamer Nenner ist die Aufgabe, das Publikum in die Säle (zurück) zu locken – ohne Publikum kein Kulturbetrieb.
Nicht überall ist die Situation dieselbe – bei der aktuellen Publikumssituation gibt es unterschiedliche Erfahrungen, wenn auch vielerorts zu viele Plätze frei bleiben. Auch dort, wo die Säle vergleichsweise großen Zulauf haben, stellt sich die Frage nach der Tragfähigkeit der Konzertformate; nichts ist mehr ein Selbstläufer. Relevanz ist das Zauberwort. Der Spagat zwischen niederschwelligen, involvierenden Angeboten mit bewusster Ansprache von nicht-traditionellen Zielgruppen und der Herausforderung, dem Auftrag der Kulturpflege jenseits von Kommerziellem gerecht zu werden, ist den Gruppendiskussionen anzumerken. Man ist sich einig – Musik soll Erlebnisse schaffen und gleichzeitig dringend benötigter gesellschaftlicher Beitrag sein. Nach außen soll die „Alte Musik“ aus ihrer exklusiven, vielleicht auch nerdigen Ecke geholt werden, denn für das Publikum geht es in erster Linie um die Präsentation von Musik jenseits aller Schubladen.Verschlagwortet wird das Spannungsfeld von den Schlüsselwörtern Demokratie, Musikvermittlung, Community, Qualität, Wurzeln und Kulturerbe sowie Toleranz umrissen – ein großer Arbeitsauftrag.

Abschluss mit Häppchen
Den richtigen Rahmen für letztes Socializing und finalen Austausch setzt das Konzert aus der Reihe zamus:unlimited im Event-tauglichen Ventana, wo sich die Teilnehmer abends noch zu Drinks und After work-Musikgenuss treffen – im Gesprächskonzert „L’armonico pratico“ für zwei Cembali, trefflich serviert von Andreas Gilger und Flóra Fábri.
Das nächste REMA-Meeting wird mit einem Regional Meeting am 25. - 26. November 2022 in Dublin stattfinden. Interessierte können sich auf der Website https://www.rema-eemn.net über weitere Zusammenkünfte und Aktivitäten auf dem Laufenden halten.

Nicola Oberlinger, 11/2022

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