Opern-Wiederentdeckung beim Forum Alte Musik Köln

Nicht London, nicht Wien. Opern-Wiederentdeckung beim Forum Alte Musik Köln
Von Bernd Heyder
Coverbild: Studierende HMT Köln Orchestra Kairos Foto: Raimund Nolte
Heute kennt man ihn kaum mehr. Aber Jakob Greber hat Musikgeschichte geschrieben. Dank Kai Wessel geht sein Name jetzt durch die Kölner Alte-Musik-Szene.
Grebers Pastorale „Gli amori d’Ergasto“, so liest man in den einschlägigen Darstellungen, sei die erste italienischsprachige Oper in England gewesen, komponiert zur Eröffnung des legendären Londoner Haymarket Theatre im April 1705. Eine Wiener Fassung des verschollenen Londoner Werks, so hieß es, sei in der Österreichischen Nationalbibliothek erhalten – das einzige musikdramatische Werk Grebers, von dem es noch Noten gibt. Grund genug für Kai Wessel, den Countertenor und Gesangsprofessor an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, sich einmal mit dem Opernkomponisten Greber zu beschäftigen. Gemeinsam mit Milena Maneva-Valcheva erstellte er eine moderne Edition des Stücks.

In Köln: erste Aufführung nach mehr als 300 Jahren
Am 10. Januar 2021 erklang das Werk beim Forum Alte Musik Köln erstmals wieder seit mehr als 300 Jahren – den Umständen entsprechend in einer Aufführung ohne Publikum. Es war schon die dritte „Ausgrabung“, die Kai Wessel in dieser Konzertreihe vorstellte, die gemeinsam vom Trägerverein musik + konzept e. V. und WDR 3 veranstaltet wird; achtmal pro Saison macht sie ihr Publikum mit aktuellen Alte-Musik-Projekten der Freien Szene bekannt. Grebers Oper erlebte da eine fulminante Aufführung in der Kölner Trinitatiskirche, mit bestens aufgelegten Hochschul-Studierenden in den Gesangspartien, die das junge Orchestra Kairos um den Geiger Evgeny Sviridov und den Cellisten Davit Melkonyan kongenial begleitete. Am 7. Februar wurde die Aufnahme des Konzertes in WDR 3 Oper gesendet.

Eine Oper aus Innsbruck!
Die Beschäftigung mit Grebers abendfüllendem Werk voller charmanter Arien und kecker Chöre führte im Nachgang aber noch zu einer kleinen musikwissenschaftlichen Sensation. Denn schnell war Kai Wessel klargeworden, dass er hier keineswegs eine Bearbeitung der nur im Text erhaltenen Londoner Greber-Oper von 1705 vor sich hatte. Die weitere Recherche ergab, dass es sich auch nicht um ein Wiener Werk von 1711 handelt, wie man bisher vielfach annahm. Vielmehr führte eine Idee, die der Opernexperte Herbert Schneider schon einmal 1982 formuliert hatte, jetzt auf die richtige Spur: Jakob Greber war Kapellmeister bei Karl Philipp von Pfalz-Neuburg, der von 1707 bis 1717 als kaiserlicher Statthalter in Innsbruck regierte – und dort im Mai 1713 Elisabeth Christine, die Gattin Kaiser Karls VI., auf ihrer Rückreise von Barcelona nach Wien willkommen hieß. Unter anderem mit dieser Oper von Greber! Warum auch sonst sollte die Hirtengöttin Pales im Prolog davon singen, dass „die geliebte, des großen Augustus würdige Gattin, die vortreffliche Elisabeth, zum gekrönten Karl zurückkehrt“?
Die zufriedengestellte Nymphe
Auf Nachfrage tauchte nun in den Innsbrucker Archivbeständen sogar ein gedrucktes Textbuch auf und gab Grebers Werk, das in der Wiener Partitur ohne Titel überliefert ist, seinen Namen zurück: „La ninfa contenta“ – „die zufriedengestellte Nymphe“. Zufrieden zeigen sich jetzt auch Kai Wessel und das Team des Forum Alte Musik Köln: Gemeinsam hat man nicht nur ein fast vergessenes, aber lohnenswertes Opernwerk wieder zum Leben erweckt, sondern auch an der einen oder anderen Musikgeschichtslegende aus dem frühen 18. Jahrhundert gekratzt. Noch sind nicht alle Fragen beantwortet. So ist unklar, wer den Text zu „La ninfa contenta“ verfasst hat. Und ob Greber 1705 wirklich ein erstes italienischsprachiges Werk in London auf die Bühne brachte, muss auch noch einmal hinterfragt werden. Mal davon abgesehen, dass man bis heute nicht weiß, wo der offenbar deutschsprachige Meister eigentlich sein Handwerk erlernt hat, bevor er als Partner einer italienischen Sängerin kurz nach 1700 in der Londoner Musikszene auftauchte. Aber diese Fragen kann Kai Wessel der Musikwissenschaft überlassen und lieber wieder auf die Suche gehen nach weiteren lohnenswerten Barockopern, die noch in den Archiven schlummern.