Monheim Triennal - The Prequel
Interview mit Co-Kurator Thomas Venker
Vom 4. bis 6. Juli findet im beschaulichen Monheim am Rhein das sogenannte „Prequel“ als Vorspiel zur Haupt-Triennale statt, die dann im Sommer 2025 folgt. Auf dem Programm des Prequel stehen neben Solo-Konzerten und Artist-Talks vor allen Dingen Jams der insgesamt 18 eingeladenen „Signature-Artists“ in unterschiedlichen Konstellationen. Und gerade diese einmaligen Begegnungen machen das Prequel-Format zum Geheimtipp für Liebhaber*innen avantgardistischer Musik. Thomas Venker ist Teil des Kurationsteams, das sich um die Auswahl der Künstler*innen kümmert. Numinos traf ihn für den IFM zu einem Gespräch, um mehr über das Festival zu erfahren.
Autor: Numinos
Numinos: Thomas, hilf mir mal ein bisschen bei der Zählung und dem Zyklus der Triennale: Wenn ich das richtig verstanden habe, wurde sie doch 2020 offiziell ins Leben gerufen. Wann ist jetzt Prequel und was ist das überhaupt und wann ist das Haupt-Festival?
Thomas Venker: Wir hatten 2020 natürlich ein Festival geplant. Dann kam allerdings die Pandemie, wo nichts wirklich möglich war. Wir haben dann die kleine Variante gemacht und Markus Schmickler ein Konzert spielen lassen: außen in der Raffinerie, wo er oben vier Leute vom Ensemble Musikfabrik positioniert hatte. Das war ein sehr schöner Auftritt, allerdings nur ein One-off-Konzert.
https://www.youtube.com/watch?v=ZlEtoh-t0Rs
2021 hätte es das Festival dann eigentlich erstmalig geben sollen, dann war das aber mit dem Reisen post-pandemisch so unsicher, dass wir nicht wussten, wer kommen kann. Wir wollten aber mit denen, die sicher kommen konnten, definitiv etwas machen. Und dann kamen am Ende doch mehr als erwartet: nämlich zehn Künstler*innen. Und plötzlich war auch das Prequel erfunden, mit der Idee, dass die Künstler*innen nicht mit einem klassischen Set nach Monheim reisen, sondern sich auf Workshop- oder Jam-Situationen einlassen und gemeinsam ein Set über 20 Minuten entwickeln, das davor nicht existierte. Das hat der ganzen Sache einen neuen Twist gegeben, der so gut ankam, dass wir gesagt haben, okay, dann haben wir einfach das Prequel und das Haupt-Festival, wo die Künstler*innen ihre Signature-Projects vorstellen. Und davor gab es dann noch das „Sound“ – das ist ein Installationsfestival, das 2023 stattgefunden hat und bei dem über die Stadt verteilt Sachen stattfanden – ein sehr kompliziertes Festival (lacht).
Du bist aber schon von Anfang an dabei, oder?
Genau, ich wurde 2019 von Reiner Michalke gefragt, ob ich an der Triennale mitarbeiten möchte, und war sofort begeistert. Ich fand es bereits spannend, als es auf drei Jahre angesetzt war, und finde es jetzt noch spannender, weil das Team im jährlichen Zyklus natürlich ganz anders planen kann.?
Wie kann ich mir so eine Sitzung des Kuratoriums vorstellen? Geht es da eher sachlich und routiniert zu, oder wird da auch mal richtig energisch über Musik diskutiert?
Das Kurations-Team tritt ja eher punktuell zusammen – dann ist es aber ein total enger Prozess, denn alle bringen jeweils 50-70 Künstler*innen ein. Das heißt, man sitzt dann zunächst mal vor ewig langen Excel-Listen und hört in alles rein. Ich kenne mich ja mit der Redaktionsarbeit im Musikjournalismus ganz gut aus und trotzdem dachte ich da beim ersten Mal: „Wow, das wird jetzt aber mal echt ein langes Wochenende“ (lacht). Auch und besonders weil es da natürlich ganz viel zu entdeckt gibt. Klar, denn die Idee ist ja, dass die einzelnen Kurator*innen ihr jeweils eigenes Spezialgebiet haben.
Wo liegen die genau?
Da hat man zunächst die regionalen Aspekte, weil wir ja auf unterschiedlichen Kontinenten sitzen, wie beispielsweise Rainbow Robert in Vancouver, Kanada, Jessica Hallock aus New York, Louis Rastig, der das A L'ARME!-Festival in Berlin macht, und dann noch Yuko Asanuma, die sich sehr gut mit afrikanischer und asiatischer Contemporary-Musik auskennt. Wir ergänzen uns also im Dialog schon ganz gut.
Bei der Prequel-Idee spielen ja die Jam-Sessions, der lose Charakter der – meist einmaligen – Kombinationen von Musiker*innen eine große Rolle. Ich denke mir, da muss man das Sozial-Menschliche auch ein bisschen mitdenken, oder?
Das spielt bei der Auswahl der Künstler*innen auf jeden Fall eine Rolle: Lassen die sich auf so ein Biotop ein? Natürlich ist das auch eine große Chance für sie, denn wo wird man schon zwei Jahre hintereinander für eine komplette Woche eingeladen, um mit 15 anderen Künstler*innen zusammen einen Raum zu prägen? Gerade, dass es zwei Jahre hintereinander sind, das ist schon sehr besonders. (Anm. d. Autors: Alle Künstler*innen, die zum Prequel eingeladen werden, spielen im Folgejahr ihre Solo-Sets.)
Wie wurden diese Paarungen organisiert? Genau genommen sind es ja nicht nur Paarungen, sondern auch Trios, Quartette und sogar All-Star- Formationen... Hat das Kuratorium da Vorgaben gemacht oder Wünsche geäußert, oder durften sich das die eingeladenen Künstler*innen selber aussuchen?
Alle Kurator*innen betreuen die Künstler*innen, die sie ins Festival eingebracht haben, in einem engen Dialog. Wir haben erstmal Meinungen eingeholt: „Was würde euch interessieren? Welche Konstellationen reizen euch besonders? Wo zieht es euch hin?“ Dann hat Intendant Reiner Michalke sozusagen die Gesamtkomposition gemixt. Wir sind dabei aber auch wirklich sehr sensibel auf die Künstler*innen eingegangen: So spielt Terre Thaemlitz reine Solo-Performances, weil sie das so möchte. Und das ist dann auch in Ordnung. Man muss jetzt also nicht zwingend zur Herden-Künstler*in werden, wenn es gegen die eigene Neigung ist, um bei der Triennale zu spielen.
Terre Thaemlitz ist ja eine Künstler*innen-Persönlichkeit, die die eigene Nicht-Binärität intensiv und diskursstark thematisiert. In dem Zusammenhang erkenne ich sowohl im Line-up, wie auch in der Besetzung des Kuratoriums einen offensichtlichen Willen zur Abbildung von Diversität.
Zunächst war die Prämisse, dass wir Parität herstellen und acht Männer und acht Frauen buchen. Und ja: Non-Binary ist gewünscht, wenn es sich organisch im Kurationsprozess so ergibt. Mindestens ebenso wichtig ist für uns aber der Faktor, wo die Leute herkommen. Wir versuchen da schon, aus den nordamerikanischen und europäischen Booking-Mustern auszubrechen und südamerikanische, afrikanische und asiatische Künstler*innen genauso zu berücksichtigen. Wir haben da sicher noch Defizite, möchten aber für den nächsten Zyklus der Triennale noch jemanden dazu holen, der oder die sich sehr gut mit der Musik Südamerikas auskennt.
Es ist ja nun auch kein explizites World Music-Festival, sondern eher ein Avantgarde-Festival... Kann man das so sagen?
Reiner Michalke ist es immer wichtig zu betonen, dass es kein Jazz-Festival ist. Das ist es definitiv auch nicht, allein schon, weil wir zu viel elektronische Musik dabei haben. Das Auffälligste am Line-up ist vielleicht, dass jede Person Signature-Artist ist – also grundsätzlich als Solo-Künstler*in agiert. Das klingt erst mal banal, aber es gibt eben sehr viele Bands. Wir aber suchen die Künstler*innen-Persönlichkeit, die auch die Möglichkeit hat, solo zu performen, damit man sie im Folgejahr dann auch als Solo-Künstler*in einladen kann. Wir wollen ja nicht einer Band sagen, dass wir nur eine Person davon einladen und so in ein festes Gefüge grätschen.
Was sind deine persönlichen Highlights unter den ganzen Sessions und Kombinationen von Künstler*innen?
Ich freue mich zunächst mal, dass es nach vier Jahren endlich geklappt hat, Terre Thaemlitz hierher zu holen. Sie lebt ja in Japan und wäre während der Pandemie mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung nie wieder zurückgekommen. Aber durch den Austausch über die lange Zeit hat man sich schon irgendwie befreundet. Und beide Ideen von Terre: das elektroakustische Ambient-Set und das Piano-Konzert sind für mich so herausragend, besonders weil sie das Piano-Konzert schon sehr lange nicht mehr gespielt hat. Darauf freue ich mich extrem. Gespannt bin ich auch darauf, was Oren Ambarchi so macht. Er überzeugt mich eigentlich in jeder Konstellation, er ist echt so eine Art „Universal-Connector“. Und ich bin auch extrem gespannt, wie Heiner Goebbels damit umgeht, in sehr vielen verschiedenen Konstellationen zu musizieren, weil er das, glaube ich, schon sehr lange nicht mehr gemacht hat.
Weißt du, wie sich die Musiker*innen im Vorfeld einer Jam-Session organisieren? Also klar, ein Peter Evans dürfte sich mit seiner Trompete in so ziemlich jedem Kontext einbringen können, aber bei Vocal-Performer*innen wie Ganavya Doraiswamy dürfte es wahrscheinlich ein Stück weit schwieriger sein, oder?
Das ist diesmal schon anders als beim ersten Zyklus: Da war das Prequel ja nicht geplant, sondern hat sich so entwickelt. Deswegen waren dann natürlich auch Musiker*innen in Konstellationen, die das sonst eigentlich gar nicht machen – Phillip Sollmann zum Beispiel oder auch Hibotep aus Uganda, die haben sich aber erstaunlich gut auf diese Jams und dieses Workshop-Artige einlassen können. Dieses Mal haben die Künstler*innen noch mehr Slots, bei denen sie auch Ideen absprechen können. Interessant ist dabei aber oft das Psychologische – also wie gute Kommunikation miteinander aussieht. Wir haben beispielsweise ganz bewusst Shahzad Ismaily wieder eingeladen, der schon beim ersten Prequel dabei war, weil er halt genau das kann: Der spürt dann auch, wenn da noch eine Unsicherheit ist, geht dann in den Dialog, nimmt den Leuten die Ängste und sagt denen auch „Hey, es wird alles locker funktionieren“, und das ist oft das Wichtigste. Da sind Künstler*innen auch nicht anders als „normale“ Menschen, manchmal braucht es halt jemanden, der einem sagt „Haut schon alles hin“.
Wie nimmst du die Akzeptanz des Festivals in der kleinen Stadt Monheim wahr? Ich meine, es ist ja in gewisser Weise schon ein ziemlich tollkühnes Projekt gewesen, das der Bürgermeister da initiiert hat. Zwar mit der Gewissheit von reichlich sprudelnden Gewerbesteuer-Einnahmen, aber dennoch muss man das ja den Bürger*innen irgendwie schmackhaft machen, wenn man so viel Geld ausgibt und – trotzdem oder gerade deshalb – wieder gewählt werden will. (lacht)
Das Festival steht ja nicht singulär, sondern innerhalb der gesamten Kulturpolitik der Stadt: Da hat jedes Kind Anrecht auf kostenlosen Musikunterricht, die können auch ihre Instrumente gratis leihen. Die ganze Musikkultur spielt eine große Rolle im Schulsystem und wird gefördert. In der ganzen Stadt gibt es wahnsinnig viele Angebote. Es wird jetzt auch eine Kunstsammlung im öffentlichen Raum aufgebaut. Dahinter steht der Gedanke, dass man Leute, die im Alltag nicht unbedingt so mit Kultur konfrontiert werden, näher heranführt – und als Fernziel auch die Idee, Biografien zu prägen: Vielleicht werden die Kids, die da ein Instrument lernen, irgendwann mal Musiker*innen. Ich erinnere mich, wie mal beim Moog-Festival in North Carolina ein kleiner Junge zu mir kam und mir ganz interessierte Fragen über das Programm stellte. Ich habe dem dann einen Festivalpass besorgt. Der war vielleicht zwölf und das war natürlich „way too much“ für den, aber ich bin mir sicher, dass dieses Programm und das, was der da gesehen hat, etwas in ihm ausgelöst hat. Mit so einem breiten kulturellen Angebot löst du ja eine Kettenreaktion aus und das ist etwas, was bei uns kulturell vergessen oder zurückgebaut wurde. Wenn du dir überlegst, wo wir in den 1970/80er-Jahren mal waren – was im öffentlichen Fernsehen ging, was im öffentlichen Radio ging und wie das reduziert wurde. Und da ist Monheim ein sehr schönes Beispiel dafür, wie dieses Verständnis für Kultur wieder wachsen kann: Es muss den Leuten im Alltag begegnen, es muss ihnen auch niederschwellig begegnen. Das heißt: Wir haben auch ganz viele Projekte, wo Achim Tang mit Leuten vor Ort zusammen Musik macht, mit Kindern, und dabei die Künstler*innen mit einbindet. Es ist ein ganz wesentlicher Punkt des Festivals, dass dieser Schwellenabbau stattfindet.
Daran schließt sich die Frage nach dem Publikum an: Wie hast du das wahrgenommen – ist die Monheimer Stadtgesellschaft anwesend?
Die Monheimer Stadtgesellschaft ist mehr anwesend, als ich es gedacht habe. Vor allen Dingen gibt es auch sehr viele Interessierte, die sehr frühzeitig Dauertickets kaufen, und wir machen ja auch Veranstaltungen gratis im „Goldenen Hans“ oder auch die Abschlussparty, was vermehrt lokales Publikum anspricht. Das ist auf jeden Fall ein substanziell großer Teil des Publikums, das wir anziehen, und dann gibt es natürlich die Leute aus Köln und Düsseldorf. An die muss man das allerdings schon herantragen (lacht). Das heißt, es gibt einen Shuttle Service, der einen gratis hin und nachts auch wieder zurück bringt. Das einzuführen war ein wichtiger Schritt, denn du kannst den Kölner per se ja manchmal schon nicht mal motivieren, sich auf die andere Rheinseite zu bewegen. Und das wäre schade, denn wenn ich auf das Line-up gucke, bekomme ich „FOMO“ („Fear of missing out“) und ich glaube, dass viele Leute sich in ein paar Jahren sagen: "What? Da war ich nicht dabei, als all diese Leute zusammen gespielt haben."
Die Pandemie-Ausgabe zum Beispiel werde ich nie vergessen: Alle Künstler*innen waren so gerührt, wieder Musik machen zu dürfen. Dieses Prequel war wirklich das Außergewöhnlichste, was ich an Musik je erlebt habe, weil alle merkten: „Yeah, that's good – darum machen wir das!“. Interessant ist auch, dass es da keine Allüren oder auch keine Hierarchien gibt. Ich meine, da sind natürlich Leute dabei, die ein bisschen bekannter sind als andere – dieses Ego verschwindet dann aber auch. Das kriegt Reiner Michalke im Dialog auch immer sehr gut hin: den Künstler*innen, die einen großen Namen haben, klarzumachen, dass da alle auf Augenhöhe miteinander spielen.
Wie funktioniert das mit der Logistik in der Stadt?
Wir haben die besondere Situation, dass das Festival eigentlich schon in der Monheimer Stadtphilharmonie stattfinden sollte. Die ist aber noch im Bau, weshalb der Hauptstrang des Festivals dieses Jahr auf dem Schiff („MS Rheinphantasie“) stattfinden wird. Und gegenüber vom Festivalschiff ist direkt das Hotel. Das ist wirklich wahnsinnig bequem: Die Künstler*innen müssen über die Straße gehen, drei Minuten, dann sind sie auf der Bühne, drei Minuten zurück, also können alle zu ihrem Gig laufen. Die sind ja auch alle die gesamte Woche anwesend und das ist die Idee: dass die Leute wirklich extrem lang miteinander in Dialog sind und sich auch neue Konstellationen spontan entwickeln können.
War es technisch aufwändig, so ein Ausflugsschiff für die erhöhten klanglichen Anforderungen elektroakustischer Musik zu ertüchtigen?
Ja, Konzerte – auch und besonders elektroakustische - stellen natürlich einige Herausforderungen an die Technik. Da haben wir uns aber in enger Absprache mit Technik und Künstler*innen drum gekümmert – beispielsweise beim Piano-Konzert von Terre Thaemlitz, das auf dem Bug des Schiffs stattfindet, mit Blick auf den Rhein und das Bayer-Werk im Hintergrund. Wenn das so aussieht, wie ich es mir erhoffe, dann wird das wunderschön. Und dann ist auch klar, dass der Raum eben nur für 100 bis maximal 120 Leute reicht. Es geht ums Zuhören – das ist Thaemlitz sehr, sehr wichtig. Es gibt auch keine Aufzeichnung, keine Fotografien, nur das einmalige Hörerlebnis vor Ort.
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Das Gespräch führte Numinos für musik-in-koeln.de / IFM im Juli 2024
Thomas Venker (Köln) ist Mitbegründer und Mitherausgeber von „Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop“. Vor der Gründung von „Kaput“ im Jahr 2014 war er 14 Jahre lang Chefredakteur des „Intro“-Magazins. Derzeit ist Thomas Venker auch Teil des Redaktionsteams des Magazins „Chart – Notes to consider“. Er schreibt regelmäßig für ein Portfolio von Magazinen und Tageszeitungen und moderiert Panels und Symposien für verschiedene Kulturinstitutionen. Neben seiner journalistischen Arbeit unterrichtet er Musikjournalismus und Künstlermarketing an mehreren deutschen Hochschulen.