Einführung von Honoraruntergrenzen im Kulturbereich – Warnung vor unbeabsichtigten Schäden für die freie Szene

Positionspapier der Initiative Freie Musik IFM e.V.

|
01. Juni 2025

 

// Öffentliche Förderer

// Verbände

// Artikel

// Studien Soziale Situation & Absicherung von Künstler*innen und Kulturschaffenden

// Theorie Resilienz / Grundsicherung / Kunst als Arbeit

Die Einführung von Honoraruntergrenzen im öffentlich geförderten Kulturbereich ist grundsätzlich ein begrüßenswerter Schritt. Sie signalisiert die überfällige gesellschaftliche Anerkennung künstlerischer Arbeit und zielt auf faire Vergütung. Doch wenn dieser Schritt nicht von strukturellen Anpassungen bei der Kulturförderung begleitet wird, drohen gerade in der freien Szene gegenteilige Effekte: ein Verlust an Vielfalt, ein Rückgang künstlerischer Autonomie – und paradoxerweise eine Verschärfung der Prekarität, die man eigentlich bekämpfen möchte.

Wir sehen mit wachsender Sorge, dass der aktuellen Diskussion häufig eine systemische und detaillierte Betrachtung fehlt - und ein entsprechender Einspruch aus den Verbänden bislang ausbleibt. Als Interessenvertretung warnen wir eindringlich vor den unbeabsichtigten Auswirkungen einer gut gemeinten Maßnahme, die – ohne flankierende Reformen – nicht zu mehr Gerechtigkeit, sondern zu einer Rückentwicklung der freien Kunst- und Kulturproduktion führen könnte. Gerade angesichts der dramatisch abgeschmolzenen Projektförderungen auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen würde durch die jetzt vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft skizzierte Einführung von Honoraruntergrenzen irreparabler Schaden entstehen. 

Hintergrund

Am 05.10.2022 legte die „Kommission für faire Vergütung für selbstständige Künstlerinnen und Künstler“ der KMK eine Honorarmatrix-Struktur zur fairen Vergütung vor. Seit Juli 2024 schreibt der Bund in einem ersten Schritt bei zu mehr als 50% bundesgeförderten Projekten eine Orientierung an verschiedenen Verbandsempfehlungen vor.  

Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, eine eigene Honorarmatrix, die auf Grundlage der Empfehlungen der KMK entwickelt wurde, ab Januar 2026 für alle landesgeförderten Projekte und Veranstaltungen in NRW verbindlich anzuwenden. Die Matrix sieht für den Musikbereich gestaffelte Mindesthonorare je nach Veranstaltungsgröße vor (z. B. 250 € bei bis zu 500 Zuschauenden, 375 € bei 500–1.500 und 500 € bei mehr als 1.500 Zuschauenden). 

Zentrale Bedenken

  • Verdrängungsprozesse in der freien Szene bei stagnierenden Budgets
    Die Honoraruntergrenzen werden in einem kulturpolitischen Kontext und zu einem Zeitpunkt eingeführt, in dem viele Förderbudgets real sinken oder stagnieren. Auf dieser Grundlage kann durch die Einführung von Honoraruntergrenzen keine Verbesserung der Gesamtsituation erreicht werden, wenn es nicht gleichzeitig zu substanziellen Verdrängungsprozessen kommen soll. Unter anderem droht eine Benachteiligung und Verdrängung von kleineren experimentellen Formaten, Nischenphänomenen, Nachwuchsprojekten und größeren Ensembles. So wird ausgerechnet der Bereich überfordert und unter zusätzlichen Druck gesetzt, in dem künstlerische Innovation und Nischenproduktion stattfinden.
  • Verhinderung freiwilliger Mehrarbeit zugunsten künstlerischer Vorhaben
    In Fällen, in denen die Einhaltung von Honoraruntergrenzen zu höheren Gesamtkosten führen würde, die im Rahmen der verfügbaren Förderung nicht darstellbar sind, sollte den beteiligten Projektleiter*innen und Künstler*innen die Möglichkeit eingeräumt werden können, auf Teile ihres Honorars zu verzichten, um eine Durchführung zu ermöglichen. Die Möglichkeit, über die vergütete Leistung hinaus Arbeit zu investieren, sollte durch eine Honorarregelung nicht eingeschränkt werden und stattdessen dem Ermessen der Beteiligten unterliegen. Insbesondere bei selbstinitiierten Projekten, in denen die Künstler:innen nicht “engagiert” werden, sondern häufig zugleich (Ko-)Antragsteller:innen, (Ko-)Produzent:innen und Performer:innen sind, ist die ökonomische Gestaltungsfreiheit ein wesentlicher Aspekt freier Kulturproduktion. 
  • Heterogene Produktions- und Erwerbsmodelle
    Die Erwerbsrealitäten im Musikbereich sind sehr unterschiedlich: Beispielsweise liegen die Honorare pro Auftritt In der komponierten zeitgenössischen Musik vergleichsweise hoch, in der frei improvisierten Musik hingegen deutlich niedriger – Spielhäufigkeit und Produktionsweise unterscheiden sich stark. Eine pauschale Untergrenze ignoriert diese strukturellen Unterschiede und gefährdet ausgerechnet jene prekären Bereiche, in denen kontinuierlich, aber mit sehr kleinen Budgets gearbeitet wird.
  • Keine Lösung des Prekaritätsproblems ohne strukturelle Reformen
    Honoraruntergrenzen allein sind kein Instrument gegen strukturelle Prekarität. Sie werden diese im Gegenteil verschärfen, wenn nicht zugleich
    • die Kulturförderbudgets insgesamt signifikant steigen,
    • der Anteil der Förderung freier Projekte und Institutionen an der gesamten Kulturförderung deutlich angehoben wird,
    • tragfähige Modelle der sozialen Absicherung entwickelt werden, die den realen Arbeitsbedingungen im Kulturbereich gerecht werden. In der freien Szene sind Phasen bezahlter Arbeit, informeller Vorbereitung und “unsichtbarer” kreativer und organisatorischer Prozesse nicht klar voneinander zu trennen. Die bestehende Arbeitslosen- und Rentenversicherung greift hier nicht – eine Reform ist überfällig.
  • Gefahr der Segmentierung:
    Es ist kritisch zu sehen, dass sich die Debatte um Mindesthonorare fast ausschließlich auf den staatlich geförderten Kulturbereich konzentriert. Dies begünstigt eine weitere Segmentierung des Kulturbetriebs in „privilegierte“ (geförderte) und „ungeregelte“ (freie) Sphären – wobei paradoxerweise gerade der geförderte Bereich durch neue Auflagen Freiräume verliert.
    Dabei ist die öffentliche Hand in der Kulturförderung nicht Auftrag- und Arbeitgeber, sondern Förderer und Ermöglicher. Ihre Aufgabe ist es, kulturelle Leistungen zu ermöglichen, die am Markt nicht entstehen würden. Wenn diese fördernde öffentliche Hand nun regulierend in die künstlerische Selbstorganisation und ihre ökonomische Gestaltungsfreiheit eingreift, ohne zugleich ihre Ermöglichungskraft und künstlerische Freiräume zu stärken, beschneidet sie ungewollt die Vielfalt, Selbstbestimmtheit und Wirkmöglichkeiten genau jener freien Produktion, die sie schützen will.
  • Drohende Verschärfung

Die aktuell vorgeschlagenen Honoraruntergrenzen liegen – wie u. a. der Deutsche Musikrat, FREO (Freie Ensembles und Orchester in Deutschland e.V.) und andere Verbände feststellen – deutlich unterhalb dessen, was für eine existenzsichernde Tätigkeit im künstlerischen Bereich notwendig wäre. Sollte der gesetzte Anspruch also ernst genommen und diese Untergrenzen künftig schrittweise angehoben werden, ohne dass die Kulturbudgets entsprechend aufgestockt werden, wird sich das hier beschriebene Problem der Überforderung kleiner Träger und Veranstalter, größerer Ensembles und selbstinitiierter Formate weiter verschärfen.

  • Verschärfung der Eigenanteilsproblematik Bei Einführung von Honoraruntergrenzen und wachsenden Gesamtkosten von Projekten und Aufführungen werden auch die absoluten Summen der zur Antragstellung nachzuweisenden Eigen- oder Drittmittelanteile wachsen. Hier sollte gegengesteuert werden, damit Projektanträge nicht an unerfüllbaren Forderungen nach Eigen- oder Drittmittelanteilen scheitern.

Forderungen

  • Erhöhung der Förderbudgets und soziale Reformen
    Die Einführung von Honoraruntergrenzen muss Teil eines größeren kulturpolitischen Reformpakets sein, das auch die strukturelle Unterfinanzierung, die Lücken im Sozialsystem und die prekären Bedingungen freier künstlerischer Arbeit adressiert.
  • Aufschub der Einführung und Beschränkung des Geltungsbereichs Die Einführung der Honoraruntergrenzen auf Landesebene sollte angesichts der finanzielen Situation verschoben und dann im ersten Einführungsschritt nur für Vorhaben vorgeschrieben werden, die zu mehr als 50% vom Land NRW gefördert werden.
  • Aufschub auf kommunaler Ebene Auf städtischer Ebene sollte die Stadt Köln von einer Einführung absehen bis die Förderbudgets der Stadt und des Landes entsprechend aufgestockt werden können. Selbst dann sind einige der hier benannten Ausnahmeregelungen und Flexibilisierungen weiterhin sinnvoll. 
  • Bessere Vergütung von Spitzenakteur:innen und Vermeidung des „Deckel-Effekts“  Es muss verhindert werden, dass Honoraruntergrenzen faktisch zu Honorarobergrenzen werden. Erste Priorität sollte daher die Verbesserung der Vergütung von etablierten Spitzenkünstler:innen und -ensembles haben, deren Honorare aktuell unterhalb des existenzsichernden Minimums liegen – ohne allerdings den generellen Handlungsbedarf in allen Bereichen in Frage zu stellen.
  • Ausnahmeregelungen für kleine Projekte Für Projekte mit geringer Reichweite oder niedrigem Budget braucht es explizite Ausnahmeregelungen, um ihre Durchführbarkeit zu sichern.
  • Freiwilligkeit bei selbst-initiierten Projekten Selbstbeauftragte Künstler:innen und Produzent:innen sollten bei geförderten Projekten, in denen sie organisatorisch oder künstlerisch (mit-)verantwortlich sind, die Möglichkeit haben, freiwillig für Honorare unterhalb der Honoraruntergrenze zu arbeiten, vorausgesetzt:
    • die Reduktion des eigenen Honorars ist entscheidend dafür, dass das Projekt durchgeführt werden kann.
    • die entsprechenden Honorarreduktionen werden auf freiwilliger Basis und mit expliziter Billigung der Betroffenen durchgeführt und transparent dokumentiert. 

In jedem Fall muss individuelle Rücksprache gehalten werden, um Missbrauch dieser Regelung zu vermeiden. Die Regelung darf nicht generell dazu führen, dass Projekte von Künstler*innen oder Produzent*innen, die hinsichtlich der eigenen Existenzsicherung nicht auf Mindesthonorare angewiesen sind, Projekte aus der Förderung verdrängen, deren Mitwirkende auf Mindesthonorare angewiesen sind.

  • Differenzierung nach Ensemblegröße und Format  Anstelle pauschaler Sätze braucht es differenzierte Modelle, die sowohl Ensemblegröße und Produktionsform als auch den Arbeitsumfang angemessen berücksichtigen - ohne allerdings in Beantragung und Verwendungsnachweisprüfung zusätzliche bürokratische Aufwände und Nachweispflichten zu erzeugen. 
  • Verstärkte Strukturförderung Für Ensembles, Festivals und Spielstätten sollte eine nachhaltige und mehrjährig ausgelegte Strukturkostenförderung eingerichtet werden, die nicht zwingend an die Einhaltung von Honoraruntergrenzen geknüpft ist.  Eine den Anforderungen an eine eigenständige soziale Absicherung und Altersvorsorge entsprechende Anhebung des Gagenniveaus erfordert eine grundsätzlich bessere finanzielle Ausstattung nicht nur von Förderinstrumenten, sondern gerade auch von wesentlichen Arbeitgeber*innen wie Ensembles, Spielstätten, Konzertreihen und Festivals, die ohnehin unter immer stärkerem finanziellen Druck stehen.
  • Anpassung der Eigenanteilregelung Verpflichtende Eigenanteile an Projektfinanzierungen müssen reduziert oder ganz gestrichen werden, um in Anbetracht steigender Projektkosten, um nicht zu unrealistischen Forderungen zu werden. Alternativ sollte ehrenamtliche Arbeitszeit als Eigenanteil angerechnet werden können.

Fazit

Honorarmindeststandards sind ein wichtiger Schritt – aber kein Allheilmittel. Ohne umfassende politische Nachsteuerung drohen ausgerechnet jene Strukturen beschädigt zu werden, die in den letzten Jahrzehnten für Vielfalt, Innovation und selbstbestimmte Produktion im Kulturbereich gesorgt haben. Es ist höchste Zeit, dass diese Aspekte in der kulturpolitischen Debatte und der Ausgestaltung der Einführung von Honoraruntergrenzen nicht länger ausgeblendet, sondern wesentlich stärker berücksichtigt werden.

IFM Positionspapier Honoraruntergrenzen zum Download

OnePager Projekt starten
1

Wählen Sie den Namen der neuen Page

Zusammen mit der Adresse (URL) der Basisseite ist Ihr Projekt sofort unter dieser neuen Internetadresse verfügbar.

weitere Infos

alt_text_onepager_description_1
Editor Mode
2

Inhalte nach Ihren Vorstellungen einrichten.

Erste Daten, Bilder, Videos sowie persönlichen Daten haben wir bereits für Sie als Beispiel hinterlegt.

weitere Infos

alt_text_onepager_description_2
Seitenbereiche / Slides
3

Jedes Slide hat einen eigenen Editor

Mit dem Wechsel eines Slide wird der zugehörige Editor eingeblendet. Auf der rechten Seite bearbeiten Sie die Inhalte.

weitere Infos

alt_text_onepager_description_3
Erneut bearbeiten
4

Verborgener Button links unten in der Ecke

Via MouseOver wird der Button für den Editor Mode sichtbar, um Inhalte später erneut anpassen zu können.

weitere Infos

alt_text_onepager_description_4
OnePager anlegen / bearbeiten