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Von Johannes Zink
Die neue künstlerische Leitung von Concerto Köln - Teil 2
Interview mit Hannah Freienstein - Künstlerische Leiterin seit 2024
Interview mit Hannah Freienstein, der künstlerischen Leiterin des Alte-Musik-Ensembles Concerto Köln seit 2024. Dies ist Teil 2 eines zweiteiligen Interviews. Das erste Interview mit dem ehemaligen künstlerischen Leiter Alexander Scherf ist im Blog zu finden.
Johannes Zink: Wenn Sie die Tätigkeit der künstlerischen Leitung definieren sollten, wie würde sich das anhören bei Ihnen?
Hannah Freienstein: Ich glaube, es umfasst unterschiedliche Gebiete. Das eine ist der sehr kreative Bereich, in dem ich sehr gerne arbeite. Es geht um die Programmplanung, um die generelle Ausrichtung, um die Frage wo wir hinwollen, auch mit unserem Klang. Also wirklich künstlerische Fragen. Die andere sind eher Leitungsaufgaben. Ganz pragmatisch gesprochen: Wer sollte neben wem sitzen, wie sollen wir Probenpläne so gestalten, dass das sinnvoll ist? Jemand fällt aus, wer kommt als Ersatz? Und das Dritte ist dann, auch ein Auge darauf zu haben, was der Markt braucht. Das ist eher eine wirtschaftliche Aufgabe. Denn es muss ja auch noch irgendwie an den Hörer gebracht werden. Und da geht es viel drum, sich umzuhören, was die Welt gerade bewegt und was sie möchte.
JZ: Würden Sie auch schon mal mit dem Fuß aufstampfen und Dinge autoritär entscheiden?
HF: Nein, überhaupt nicht. Es ist ja ein demokratisches Orchester mit allen Vorzügen und Nachteilen. Wirklich autoritär würde ich nicht auftreten, außer es geht überhaupt nicht mehr anders. Aber eigentlich geht es mir darum, dass jeder Einzelne Verantwortung übernimmt. Ich glaube, die beste Entscheidung treffen die Menschen, wenn sie selber entscheiden dürfen und dann auch mit den Konsequenzen leben. Meine Aufgabe ist, diesen Prozess quasi zu moderieren. Ich denke, das ist auch was das Orchester sich wünscht. Ich habe ganz großen Respekt vor der Leistung, die es in den letzten 39 Jahren gebracht hat und fände es verkehrt, jetzt alles anders machen zu wollen. Wir sprechen ja über etwas, was wahnsinnig gut gelaufen ist, und das möchte ich fortführen.
JZ: Die künstlerische Leitung ist vom Cellisten Alexander Scherf auf die Cellistin Hannah Freienstein übergegangen. Gibt es irgendwas, was Cellisten besonders geeignet macht für diese Position?
HF: Weil ich ja meinen Beruf so sehr liebe, würde ich sagen, die ganze Barockmusik wird eigentlich vom Bass her gedacht. Da haben alle Bassinstrumente eine führende Rolle, egal ob Cembalo, Cello oder Fagott. Trotzdem glaube ich, in diesem Fall war es wirklich einfach Zufall.
JZ: Drei Jahre sind Sie jetzt bei Concerto Köln, also noch relativ frisch dabei, und haben doch schon den Hut auf als künstlerische Leiterin. Und Sie wollen Ihre Aufgaben als Cellistin im Orchester dadurch nicht einschränken. Wo nehmen Sie die Energie dafür her?
HF: Die Energie kommt von der Musik, also wirklich vom Spiel. Ich muss wirklich mich jeden Tag hinsetzen und üben und Konzerte spielen. Wenn ich das schleifen lasse, geht mir diese Energie verloren.
JZ: Concerto Köln hat ja grundsätzlich eine basisdemokratische Struktur. Wie reagieren denn die Kolleginnen und Kollegen auf Sie als neue künstlerische Leiterin? Gibt es auch kritische Stimmen?
HF: Ich glaube, die gibt es immer. Aber das Orchester ist ja von sich aus auf mich zugekommen und ich wurde gefragt, ob ich mich zur Wahl stelle. Insofern haben sie es alle so entschieden. Und wir müssen jetzt alle schauen, wo es uns hinführt. Ich werde sicherlich Fehler machen und daraus lernen. Ich glaube aber, wir gehen in eine sehr gute Richtung. Ich hatte auch schon immer den Eindruck, dass Unterstützung da ist, wenn ich danach frage.
JZ: Wo hat sich Concerto Köln in den vergangenen Jahren aus Ihrer Sicht besonders vorteilhaft entwickelt?
HF: Das Orchester hat diesen Generationenwechsel geschafft, der so schwer zu vollziehen ist. Das ist ein großes Verdienst von Alexander Scherf, der diesen Umbruch sehr gut in die Wege geleitet hat. Wir sind dadurch auf einem sehr guten Weg in eine Zukunft, in der das Orchester seine Lebensleistung, die ich so sehr würdige, auch weiterführen kann. Das ist eine tolle Basis und das schätze ich einfach wahnsinnig.
JZ: Im Moment kreist an allen Ecken und Enden im Kölner Stadthaushalt der Rotstift, auch in der Kultur. Macht Sie dieses Damoklesschwert nervös?
HF: Ich spreche im Moment sehr viel mit Kulturpolitikern, weil ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um nochmal deutlich darauf hinzuweisen, dass es kein Kölner Ensemble gibt, was so viele nationale und internationale Preise gewonnen hat, wie Concerto Köln. Dieses Orchester ist ein Schatz für die Stadt und auch für ihr internationales Renommee. Dieser Anfangszeitpunkt ist für mich allerdings schon herausfordernd und ungünstig. Es darf nicht sein, dass man der Kultur immer weniger Raum einräumt, sie ist eines unserer stärksten Mittel um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Aber ich weigere mich schlichtweg, in generelle Hoffnungslosigkeit zu verfallen. Es ist eine Zeit, wo man vieles neu denken muss und auch wirtschaftlich andere Wege gehen muss, Dinge bewahren muss, es aber auch schaffen muss, sich von Dingen zu lösen, die jetzt nicht mehr so funktionieren, wie früher.
JZ: Welche könnten das sein?
HF: Das kann ich im Moment noch nicht konkret benennen. Ich glaube nicht, dass irgendwas Großes runterfällt, aber die generelle Ausrichtung im Orchester muss nach vorne gehen, ohne dass das Alte dadurch wegfällt. Es wird nicht reichen, sich nur über die Erinnerung an die Vergangenheit zu definieren, wir brauchen eine Vision für die Zukunft.
JZ: Sie haben vom Markt gesprochen, der über die Jahre seine veränderten Anforderungen entwickelt hat. Wie reagieren Sie darauf?
HF: Ich würde gerne auch mit anderen Formaten arbeiten. Eines das wir im Moment entwerfen, ist die Reihe „we celebrate.“ Nächstes Jahr wird das Orchester 40 Jahre alt und wir wollen für die nächsten zehn Jahre unter dem Motto „we celebrate“ jedes Jahr eine Person oder ein Ereignis in den Vordergrund stellen. Zum Beispiel nächstes Jahr Alessandro Scarlatti in seinem Gedenkjahr. Dabei geht es mir aber nicht um etwas Museales, sondern auch um die vielen spannenden Geschichten, die sich drumherum erzählen lassen. Ich denke überhaupt, die historische Aufführungspraxis steht an einem Wendepunkt. Man hat so wahnsinnig viel erforscht und ist dabei auf einem gewissen Level angekommen. Jetzt muss man das nur auch ins 21. Jahrhundert transportieren. Was haben die Geschichten von damals mit unseren Geschichten von heute zu tun? Solche Themen würde ich zum Beispiel gerne in Kooperation mit Schulen angehen. Ich könnte mir auch vorstellen, mit so einem Projekt aufs zu Land gehen und dort mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, dass wir dabei ganz viel lernen können.
JZ: Also eine Abkehr vom gewohnten klassischen Konzertformat?
HF: So kategorisch würde ich das nicht sagen. Es tut den Menschen ja auch gut, mal einfach nur ins Konzert zu gehen, ohne dabei das maximale Drumherum an Bespaßung zu erleben. Das ist so ein Punkt, wo ich nicht immer dem Markt hinterherrennen muss. Und trotzdem muss man neue Formen finden, auch für junge Leute, damit sie wirklich beteiligt werden.
JZ: Wo sehen Sie Concerto Köln in zehn Jahren?
HF: In zehn Jahren ist das Gedenkjahr von Bach und Händel. Die 1685er werden da groß gefeiert. Und es ist natürlich toll, dass es dann mit dem 50. Geburtstag von Concerto Köln zusammenfallen wird. Meine Vision ist, dass wir weiter an der Spitze der historischen, informierten Orchester stehen werden und weiterhin weltweit sehr erfolgreich Konzerte spielen. Ich glaube an diese Macht der Musik, die so viel bewirken kann. Und das wünsche ich mir im Kleinen und im Großen. Und ich wünsche mir, dass wir uns auch in zehn Jahren mit diesen Aufgaben gut fühlen und gute Strukturen haben.