Das „Praetorius-Jahr“ 2021

Fortwährende Impulse für die Alte Musik: das „Praetorius-Jahr“ 2021
Von Bernd Heyder
Das „Beethoven-Jubiläum“ geht coronabedingt in die Verlängerung. Doch für die Alte-Musik-Szene ist 2021 auch ein Praetorius-Jahr: Am 15. Februar 1621 starb Michael Praetorius in Wolfenbüttel – der rührige Hofkapellmeister, Komponist und Musik-Enzyklopädist.
Der Pfarrerssohn aus dem Städtchen Creuzburg an der Werra war ein italienbegeisterter Musiker, obwohl er die neuen klangsinnlichen Kompositionen, die kurz nach 1600 aus dem Süden kamen, nur aus venezianischen Notendrucken und aus Berichten von Kollegen wie Heinrich Schütz kannte, denen es im Gegensatz zu ihm vergönnt war, über die Alpen zu reisen. Das Insider-Wissen behielt Praetorius aber nicht für sich – sein Mitteilungsbedürfnis war ebenso groß wie sein Schaffensdrang.
Insider-Informationen aus einer versunkenen Klangwelt
Ein Satz aus acht Blockflöten in allen Größen sei in Venedig für etwa 80 Taler zu haben, teilt Praetorius im zweiten Teil seines Nachschlagewerkes „Syntagma musicum“ mit. Für Ensembles in historischen Besetzungen wie das Quartett Flautando Köln ist dieser Preis zwar kaum mehr interessant, die Beschreibungen, die der versierte Praktiker von so ziemlich allen seinerzeit gebräuchlichen Instrumenten lieferte, bleiben aber anregend – nicht zuletzt für den Instrumentenbau. Dankenswerterweise liefert Praetorius auch maßstabgetreue Abbildungen: „Theatrum Instrumentorum“ nennt er den Anhang von 42 Kupferstichtafeln zum zweiten Band seiner Musikenzyklopädie. Mindestens ebenso inspirierend für heutige Musikerinnen und Musiker sind aber die unterschiedlichsten Besetzungsvorschläge, die er zu einer Auswahl seiner geradezu „symphonischen“ vokal-instrumentalen Kompositionen bietet und ebenso zu den Suiten seiner Tanzsatz-Sammlung „Terpsichore“.

Mit Praetorius in Köln: Musica Fiata
Um das experimentierfreudige frühbarocke Repertoire, das Praetorius vor seinem Publikum entfaltet, wieder zum Klingen zu bringen, hat der englische Zinkenist Roland Wilson in Köln schon 1976 sein Ensemble Musica Fiata gegründet. Zur Ursprungsbesetzung gehörten die Posaunisten Richard Lister, Wolfgang König und Peter Sommer sowie Friedemann Immer als weiterer Mann am Zink neben Wilson, der diese alten Virtuosen-Instrumente auch selber baut. Bald kamen zum Posaunenchor noch Streicher und eine Menge unterschiedlichster Basso-continuo-Instrumente hinzu – Orgeln und Cembali, Lauten, Harfen und Hackbrett. In dieser erweiterten Formation ist Musica Fiata unterwegs, um mit dem in großen Teilen immer noch unbekannten Repertoire des 17. Jahrhunderts das heutige Musikleben zu bereichern. Frühe Weggefährten waren auf dieser Entdeckungsreise Hermann Max und seine Rheinische Kantorei, Konrad Junghänel und Cantus Cölln, Frieder Bernius und der Kammerchor Stuttgart; inzwischen stellt Wilson unter dem Namen La Capella Ducale zu jedem Projekt ein eigenes Vokalensemble aus Solostimmen zusammen.

Perspektiven zum Jahresende
Ein Gedenkkonzert zum 400. Todestag des Michael Praetorius scheint zur Zeit unmöglich – zumal in einer dem Anlass angemessenen „symphonischen“ Besetzung. Aber Hoffnung bleibt für den weiteren Verlauf des Jahres. Roland Wilson kündigt schon einmal für den 19. Dezember 2021 in der Kölner Trinitatiskirche ein Programm an, das mit dem Klischee vom „barocken Weihnachtsmann“ Praetorius spielt. Geradezu populär ist nämlich seine Harmonisierung eines bekannten Kirchenliedes zu einer Kölner Melodie: „Es ist ein Ros entsprungen“. Überhaupt erinnert sich die Kirchenmusik-Szene alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit an die scheinbar nie versiegende Phantasie des Wolfenbütteler Hofkapellmeisters, alte Choralweisen kunstvoll zu variieren. Dabei hat Michael Praetorius, Enzyklopädist, der war, selbstverständlich das komplette Kirchenjahr mit reichlich Kompositionen bedacht.
https://flautando-koeln.de/de/
https://www.musicafiata.com/
https://www.trinitatiskirche-koeln.de/programm/programmuebersicht/#eventId=7448449&eventName=vom-himmel-hoch-die-weihnachtshistorie-von-heinrich-schutz-und-choralkonzerte-von-michael-praetorius